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Zulässigkeit der Videoüberwachung einer Mietliegenschaft und deren datenschutzrechtlichen Grenzen
Zulässigkeit der Videoüberwachung einer Mietliegenschaft und deren datenschutzrechtlichen Grenzen
BGE 142 III 263 (= Urteil des Bundesgerichtes 4A_576/2015 vom 29. März 2016)
Vor rund einem Jahr hatte sich das Bundesgericht mit der Frage zu befassen, ob die Videoüberwachung einer Mietliegenschaft zulässig ist oder nicht. Dem bundesgerichtlichen Urteil lag nachfolgender Sachverhalt zugrunde:
1. Sachverhalt
Mieter X lebt in einem Mehrfamilienhaus in Basel und bewohnt eine von insgesamt 24 Mietwohnungen. Bei der Liegenschaft handelt es sich um ein dreiteiliges Gebäude, wobei jeder der drei Gebäudeteile über einen eigenen Eingang verfügt. Die drei Teile sind durch einen internen Durchgang miteinander verbunden, welcher auch den Zugang zur gemeinsamen Autoeinstellhalle und zur Waschküche ermöglicht. Infolge wiederholter Einbrüche bzw. Einbruchsversuchen liessen die Eigentümer der Liegenschaft sowohl im Aussen- und Innenbereich des Wohngebäudes als auch in der Autoeinstellhalle eine Videoüberwachungsanlage mit insgesamt 12 Kameras installieren. Mieter X störte sich an dieser Videoüberwachungsanlage und forderte die Eigentümer umgehend nach deren Installation auf, sämtliche Kameras wieder zu entfernen. Im Anschluss an eine schriftliche Mieterinformation betreffend die Installation der Anlage nahmen die Eigentümer trotzdem alle Kameras in Betrieb. X reichte in der Folge Klage ein.
Anlässlich der Schlichtungsverhandlung konnte zwischen den Parteien keine Einigung erzielt werden, weshalb dem Mieter die Klagebewilligung ausgestellt wurde. Die kantonalen Instanzen hiessen die Klage des Mieters teilweise gut: Das Zivilkreisgericht Basel-Landschaft West verpflichtete die Eigentümer, eine der zwölf Kameras - diejenige im Hauseingangsbereich zur Wohnung von X - zu entfernen. In Abänderung des erstinstanzlichen Entscheides wurden die Eigentümer durch das Kantonsgericht Basel-Landschaft verpflichtet, nebst der Videoüberwachungskamera im Hauseingangsbereich auch die zwei Überwachungskameras in den Durchgängen zur Waschküche zu entfernen. Die übrigen Kameras erachtete es dagegen als zulässig.
Die Eigentümer der Liegenschaft erhoben gegen dieses Urteil Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht. Letzteres wies die Beschwerde ab und schützte das Urteil des Kantonsgerichtes Basel-Landschaft:
2. Aus den Erwägungen
Das Bundesgericht weist darauf hin, dass das Mietrecht im Gegensatz zum Arbeitsrecht (Art. 328b OR) keine Bestimmungen über die Bearbeitung von Personendaten des Mieters durch den Vermieter enthält. Auch im Rahmen eines Mietverhältnisses finden deshalb die Bestimmungen des Bundesgesetzes über den Datenschutz (DSG) Anwendung, welches den bereits durch das Zivilgesetzbuch (Art. 28 ff. ZGB) gewährleisteten Persönlichkeitsschutz ergänzt und konkretisiert (Erw. 2.2.1).
Die Aufzeichnung von Bildern durch eine Videoüberwachungsanlage, welche es erlauben, bestimmte Personen zu identifizieren, fällt gemäss Bundesgericht in den Anwendungsbereich des Datenschutzgesetzes. Entsprechend hat der Vermieter, der eine solche Überwachungsanlage in seiner Liegenschaft betreiben will, insbesondere die allgemeinen Bearbeitungsgrundsätze nach Art. 4 DSG (unter anderem den Grundsatz der Verhältnismässigkeit nach Absatz 2) wie auch die Vorgaben über die Bearbeitung von Personendaten durch private Personen (Art. 12 ff. DSG) zu beachten. Gemäss Art. 12 Abs. 1 DSG darf, wer Personendaten bearbeitet, die Persönlichkeit der betroffenen Personen nicht widerrechtlich verletzen. Nach Art. 13 Abs. 1 DSG ist eine Verletzung der Persönlichkeit dann widerrechtlich, wenn sie nicht durch Einwilligung des Verletzten, durch ein überwiegendes privates oder öffentliches Interesse oder durch das Gesetz gerechtfertigt ist. Die Prüfung, ob ein Rechtfertigungsgrund für einen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte vorliegt, ist anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls vorzunehmen und setzt eine Abwägung aller betroffenen Interessen voraus (Erw. 2.2.1).
Gestützt auf diese Ausführungen hält das Bundesgericht dafür, dass die - sichtbar an und in der Liegenschaft montierten - Videoüberwachungskameras (i) grundsätzlich geeignet seien, Vandalen, Diebe oder Einbrecher von ihren Taten abzuhalten. Ausserdem kam das Gericht zum Schluss, dass (ii) keine gleich geeignete, aber mildere Massnahme für den angestrebten Erfolg ersichtlich sei, da etwa eine Verbesserung der Beleuchtungssituation nicht die gleichen Wirkungen entfalte. Auch die (iii) beschränkte Speicherdauer von 24 Stunden wurden als massvoll eingestuft und die Einhaltung der Bearbeitungsgrundsätze, insbesondere die Verhältnismässigkeit der Massnahme, grundsätzlich bejaht (Erw. 2.1).
Sodann sind gemäss erwähntem Entscheid die betroffenen Interessen gegeneinander abzuwägen: zwar erkannte das Bundesgericht ein erhebliches Interesse seitens der Eigentümer und zustimmender Mieter an der Videoüberwachung im Hinblick auf die Verhinderung von Vandalenakten und Einbrüchen. Dennoch rechtfertige ein solches allgemeines Interesse nicht jede Videoüberwachung im Inneren eines Wohnhauses. Gleich wie das Kantonsgericht kam das Bundesgericht deshalb zum Schluss, dass der Mieter X durch drei der insgesamt zwölf Videokameras in der freien Ausübung seines Nutzungsrechts eingeschränkt und in seiner Privatsphäre übermässig beeinträchtigt werde: Die Kamera im Hauseingangsbereich zu seiner Wohnung war deshalb zu entfernen, da sie der Eigentümerschaft eine systematische Erhebung des Verhaltens von X ermögliche, das heisst der Tageszeiten, zu denen er die Liegenschaft betrete oder verlasse sowie allenfalls die Erfassung der ihn begleitenden Personen. Zudem hielt das Bundesgericht die "massvolle Ausdehnung" der schützenswerten Privatsphäre von X auf die Durchgänge zur Waschküche für angebracht (Erw. 2.2.2).
Die übermässige Beeinträchtigung von X könne durch die Ziele der Überwachung nicht ausreichend gerechtfertigt werden, schliesslich könne das Interesse der Eigentümer an einer wirksamen Verhinderung und Aufklärung von Straftaten mit den übrigen neun Kameras in ausreichendem Umfang aufrechterhalten werden.
3. Kommentar
Das Urteil des Bundesgerichtes ist deshalb zu begrüssen, weil es die Videoüberwachung von Mietliegenschaften grundsätzlich als zulässig erachtet. Dies selbst dann, wenn nicht sämtliche Mieter einer Liegenschaft mit der Installation von Kameras einverstanden sind. Dennoch unterstrich das Bundesgericht auch die Wichtigkeit, dass eine derartige Massnahme zumindest durch einige Mieter, bestenfalls von der Mehrheit der Mietparteien, unterstützt wird. Um die Zustimmung der Mietparteien erhältlich zu machen, eignet sich (nebst einer Informationsveranstaltung) der persönliche Versand eines Informations- bzw. Bestätigungsbogen besonders gut. Zu einer möglichst umfassenden, offenen Information und Kommunikation gegenüber den Mietern wird in diesem Zusammenhang geraten.
Da die Beseitigung der drei Kameras mit den datenschutzrechtlichen Bestimmungen begründet werden konnte, hat sich weder das Kantonsgericht noch das Bundesgericht mit dem mieterseitig vorgebrachten Einwand befasst, es liesse sich aus Art. 260 OR ein mietrechtlicher Anspruch auf unbeobachtete Nutzung des Mietobjektes ableiten. Nach hier vertretener Auffassung ist ein solcher Anspruch allerdings zu verneinen: Zum einen könnte sich dieser Anspruch ohnehin bloss auf die dem Mieter zur ausschliesslichen Nutzung vermieteten Teile des Mietobjektes beziehen; und zum anderen regelt Art. 260 OR die Voraussetzungen für die Vornahme von Erneuerungen und Änderungen am Mietobjekt durch den Vermieter, die thematisch mit dem Anbringen einer Überwachungskamera nichts zu tun hat.
31. März 2017/sm
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