Wohnnutzung im Stockwerkeigentum
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Wohnnutzung im Stockwerkeigentum

Die Beherbergung und Pflege von betagten Personen ist nicht vereinbar mit der für die betroffene Stockwerkeigentumseinheit im Reglement umschriebenen Zweckbestim-mung "Wohnen".

BGE 144 III 19
(Urteil des Bundesgerichts 5A_521/2017 vom 27. November 2017; ZBGR 1/2019, S. 48 ff.)

1. Sachverhalt

Das für eine Stockwerkeigentümergemeinschaft massgebende Reglement enthält u.a. die folgende Bestimmung:

"Die Stockwerke dürfen nur zu den im Begründungsakt und in diesem Reglement umschriebenen Zwecken verwendet werden.

Die Wohnungen sind ausschliesslich zu Wohnzwecken bestimmt.

Die Einrichtung eines stillen Bürobetriebs ohne Kundenverkehr ist gestattet, wobei die Bestimmungen der Bau- und Zonenordnung vorbehalten bleiben."

A. ist Eigentümerin zweier miteinander verbundener Stockwerkeinheiten, die insgesamt eine 8 ½-Zimmerwohnung bilden. Sie hat diese Wohnung an eine Unternehmung vermietet, welche sie zur Nutzung für altersgerechtes begleitetes Wohnen nutzt. Die zuständige Stockwerkeigentümerversammlung ist der Auffassung, diese Nutzung falle nicht unter den Begriff "Wohnen", und sie hat beschlossen, dass die betroffenen beiden Einheiten nicht im vorgesehenen Sinn genutzt werden dürfen. Dementsprechend wurde die Eigentümerin A. aufgefordert, den mit der erwähnten Unternehmung abgeschlossenen Mietvertrag aufzulösen. Die Eigentümerin A. focht diesen Beschluss an und gelangte, nachdem die Anfechtungsklage vor erster und zweiter Instanz abgewiesen wurde, an das Bundesgericht.

2. Rechtliches

Das Bundesgericht erwog, die Auslegung des Reglementes habe nach dem Vertrauensprinzip zu erfolgen, weshalb zu ermitteln sei, wie die hier zu beurteilende Reglementsbestimmung nach den gesamten Umständen in guten Treuen verstanden werden durfte und musste.

Zu beurteilen war also, ob die von der Mieterin betriebene Nutzung im Lichte des erwähnten Auslegungsgrundsatzes noch als Nutzung zu Wohnzwecken betrachtet werden konnte. Das Bundesgericht hielt zunächst dafür, es komme nicht darauf an, ob die Eigentümerin die betroffene Wohnung selber nutze oder die Nutzung einem Dritten überlasse. Grundsätzlich stelle der Aufenthalt in der Stockwerkeinheit aus der Perspektive der einzelnen zu betreuenden Personen durchaus ein "Wohnen" dar, auch wenn dieser bloss ein einzelnes Zimmer zur Verfügung gestellt werde. Es sei dabei nicht von Belang, dass ein Pflegeaufenthalt für sich allein noch keinen zivilrechtlichen Wohnsitz zu begründen vermöge, da sich eine Person in ganz verschiedenen Konstellationen zu Wohnzwecken in einer Stockwerkeigentumseinheit aufhalten könne, ohne dort zivilrechtlichen Wohnsitz zu haben.

Das Bundesgericht erwog in der Folge, es sei von Bedeutung, dass die konkret betroffene Wohnung zum Betrieb eines Pflegeheims im landläufigen Wortsinn genutzt werde, wobei diese Art der Nutzung von einer darauf spezialisierten Unternehmung kommerziell betrieben werde. Bei objektiver Betrachtungsweise lasse sich nicht sagen, dass ein professionell betriebener Pflegebetrieb noch unter den Begriff des Wohnens falle. Die konkrete Nutzung würde nämlich weit über den nach Reglement zulässigen stillen Bürobetrieb ohne Kundenverkehr, der nach übereinstimmender Auffassung aller Stockwerkeigentümer ohnehin nicht vorliege, hinausgehen. Die Nutzung weise eine Nähe zum Betrieb einer Pension oder einer Kostgeberei auf, auch wenn die den Bewohnern angebotenen Dienstleistungen nicht völlig kongruent seien und vorliegend der Heimaufenthalt der einzelnen Personen auf grössere Dauer ausgerichtet sein möge. Bei dem zwischen der betroffenen Stockwerkeigentümerin und ihrer Mieterin abgeschlossenen Vertrag handle es sich nicht um einen Untermietvertrag, sondern um einen Heimaufnahme- oder um ein als Betreuungs- bzw. Pflegevertrag zu qualifizierendes Vertragsverhältnis. Dabei stehe nicht die Überlassung der Stockwerkeinheit im Rahmen des reglementarischen Zwecks im Vordergrund, sondern die Betreuung und Pflege im Alter. Das zeige sich bereits daran, dass den betreffenden Personen keine rechtliche Stellung verschafft werde, auf deren Basis sie ihrerseits die Wohnnutzung – z.B. in Form einer Untervermietung – weiterübertragen könnten. Das Bundesgericht gelangte aufgrund all dieser Erwägungen zum Ergebnis, der Betrieb eines Pflegeheims sei mit dem Wohnzweck, wie ihn das Reglement für sämtliche Wohnungen der betroffenen Liegenschaft vorsehe, nicht vereinbar und stelle daher eine unzulässige Nutzung dar.

Nebenbei befasste sich das Bundesgericht auch mit der Frage, inwieweit die Nutzung von Wohnungen über die Plattform Airbnb mit der reglementarischen Zweckumschreibung vereinbar sein könnte. Ohne sich abschliessend zu dieser Frage zu äussern, verwies das Bundesgericht auf die in diesem Zusammenhang erschienene jüngere Literatur. Demgemäss stelle die entsprechende Vermietung von Stockwerkeigentumseinheiten, für welche der Wohnzweck reglementarisch vorgeschrieben ist, vorbehältlich einer im Reglement vorgesehenen Erstwohnungspflicht nicht per se eine Nutzungsänderung oder gar eine Zweckänderung der Liegenschaft dar. Es komme vielmehr auf die konkrete Art des Anbietens bezüglich Häufigkeit der Vermietung bzw. der Benutzerwechsel, Vermietung der ganzen Wohnung oder nur eines Zimmers, Intensität der Immissionen etc. an und auf weitere konkrete Umstände des Einzelfalles (städtische Wohnung, Liegenschaft mit Ferienwohnungen in touristischem Gebiet, eigentliche kommerzielle Tätigkeit, namentlich durch einen institutionellen Anleger etc.). Das lässt darauf schliessen, dass die gelegentlich erfolgende Überlassung einer Stockwerkeigentumseinheit an Dritte – selbst wenn dies über die Plattform Airbnb geschieht und gegen Entgelt erfolgt – grundsätzlich mit der Zweckumschreibung "Wohnen" vereinbar ist.

1. April 2019 / BR

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