Vorsorgliche Beweisführung bei Werkmängeln
Rechtssprechung

Aktuelles

Vorsorgliche Beweisführung bei Werkmängeln

Was ist zu tun, wenn bei der Abnahme eines Werkes aus der Sicht des Werk­bestellers Mängel vorhanden sind, die der Unternehmer nicht als solche aner­kennt? Die vorsorgliche Beweisführung nach schweizerischer Zivilpro­zessordnung.

Ausgangslage

Die Vorfreude von Irene und Werner K. ist gross: Soeben hat ihnen ihr Generalunternehmer mitgeteilt, das neu erstellte Einfamilienhaus sei bezugsbereit und die offizielle Übergabe könne in wenigen Tagen durchgeführt werden. Am vereinbarten Termin besichtigen sie mit dem verantwortlichen Bauleiter das Gebäude, Zimmer für Zimmer. Auf dem Bodenbelag und an der Aussenwand eines betonierten Kellerraumes im Untergeschoss ist ein grosser dunkler Fleck vorhanden, der offensichtlich auf Feuchtigkeit zurückzuführen ist. Herr K. macht den Generalunternehmer mit sorgenvoller Miene auf diesen Fleck aufmerksam, doch dieser beruhigt ihn rasch: "Wissen Sie, es handelt sich um eine bei Neubauten übliche Erscheinung, die mit der Bauaustrocknung bald verschwinden wird. Sie müssen sich da keine Sorgen machen."

Irene und Werner K. sind etwas ratlos. Sie haben vor, im besagten Raum unter anderem ihre Winterkleider, Reisekoffer und die Golfausrüstung zu versorgen. Sie möchten deshalb rasch Klarheit darüber gewinnen, ob die noch vorhandene Feuchtigkeit wirklich harmlos ist oder ob es sich dabei um einen ernst zu nehmenden Mangel des Bauwerkes handelt. Doch ohne fachmännische Unterstützung lässt sich dies nicht beurteilen. Was können Irene und Werner K. tun, um die Sachlage zu klären und – bei Vorliegen eines Mangels – um die ihnen zustehenden Mängelrechte (insbesondere auf Nachbesserung oder Minderung des Werklohnes) geltend zu machen?

Privatgutachten

Selbstverständlich stünde es den Eheleuten K. frei, zur Beseitigung ihrer Zweifel auf eigene Faust einen Fachmann beizuziehen und ein Gutachten über die Ursachen der festgestellten Feuchtigkeit einzuholen. Ein solches Gutachten ist – neben den je nach Fall damit verbundenen hohen Kosten - aber mit dem Nachteil verbunden, dass es als reines Privatgutachten für einen allfälligen Prozess kein Beweismittel darstellt, sondern lediglich die Bedeutung einer – fachmännisch unterlegten - Parteibehauptung hat. Regelmässig werden solche Gutachten in Prozessverfahren von der Gegenpartei als "Gefälligkeitsgutachten" abqualifiziert. In aller Regel wird der Richter in einem späteren Prozessverfahren deshalb ein "neutrales" Gutachten einholen, was mit weiteren, mitunter erheblichen Kosten verbunden ist. Dessen Beweiswert ist deshalb höher, weil es unter der Strafandrohung von Art. 307 StGB für ein wissentlich falsch erstelltes Gutachten erstattet und weil beiden Parteien im Verfahren Gelegenheit geboten wird, Ergänzungsfragen an den Gutachter zu stellen und das Gutachten zu kommentieren. Das Privatgutachten stellt also nur, aber immerhin, ein Mittel für den Besteller dar, um sich bezüglich Sachverhalt ein klareres Bild zu verschaffen. Insbesondere lässt sich – vor allem für nicht fachkundige Besteller – oft nur auf diese Weise abschätzen, ob überhaupt ein Mangel vorliegt. Die Erkenntnis, ob ein Mangel vorliegt oder nicht, ist für die Einschätzung der Chancen und Risiken in einem allfälligen Prozess natürlich von zentraler Bedeutung.

Tatbestandsaufnahme nach Art. 367 Abs. 2 OR i.V.m. Art. 250 ZPO

Vom Beizug eines privaten Sachverständigen zu unterscheiden, ist die amtlich angeordnete Tatbestandsaufnahme nach Art. 367 Abs. 2 OR.1 Diese Bestimmung räumt jeder Vertragspartei das Recht ein, auf ihre Kosten "eine Prüfung des Werkes durch Sachverständige und die Beurkundung des Befundes zu verlangen". Die Ernennung des Sachverständigen erfolgt mithin, sobald eine Vertragspartei sie verlangt. Eine Beweisgefährdung, die Wahrscheinlichkeit eines Mangels oder ähnliches brauchen nicht dargelegt zu werden.2 Die Tätigkeit des amtlichen Sachverständigen dient insofern der Sicherung des Beweises, "dass das Werk" eines Unternehmers "bei der Ablieferung mangelhaft oder mängelfrei war.3 Hierin liegt denn auch der wesentliche Vorteil gegenüber dem Privatgutachten, dem im Prozess – wie erwähnt – lediglich der Wert einer Parteibehauptung zukommt. Was die Kosten angeht, gilt indes dasselbe: Der Besteller, der eine Tatbestandsaufnahme nach Art. 367 Abs. 1 OR verlangt, hat die entsprechenden Kosten zu tragen.

Die Ernennung des Sachverständigen erfolgt gemäss Art. 250 lit. b Ziff. 4 ZPO im summarischen Verfahren. Die örtliche Zuständigkeit richtet sich nach den allgemeinen Regeln. Zuständig ist mithin grundsätzlich das Gericht am Wohnsitz der beklagten Partei oder an dem Ort, "an dem die charakteristische Leistung zu erbringen ist" (Art. 31 ZPO). Allfällige Gerichtsstandsvereinbarungen sind beachtlich. Die sachliche Zuständigkeit richtet sich nach dem kantonalen Recht. Zuständig ist häufig das Einzelgericht im summarischen Verfahren.4

Vorsorgliche Beweisführung i.S.v. Art. 158 ZPO

Von vorsorglicher Beweisführung spricht man, wenn die Beweisabnahme nicht – wie üblich – erst nach Abschluss des Hauptverfahrens, also nach Erstattung der Parteivorträge im Prozess, durchgeführt wird, sondern schon in einem früheren Stadium, unter Umständen sogar vor Rechtshängigkeit eines Prozesses.5 Die früheren kantonalen Prozessordnungen unterschieden sich bezüglich Voraussetzungen und Verfahren der vorsorglichen Beweisführung teilweise sehr stark. Seit 1. Januar 2011 ist die vorsorgliche Beweisführung nun in Art. 158 ZPO geregelt. Die vorsorgliche Beweisführung gemäss ZPO soll nicht nur der Beweissicherung dienen, sondern auch der Abklärung der Beweis- und Prozessaussichten. Die Parteien sollen also insbesondere in die Lage versetzt werden, durch eine vorsorgliche Beweisführung ihre Prozessrisiken abzuschätzen, damit aussichtslose Prozesse vermieden werden können.6 Gemäss Art. 158 Abs. 1 lit. a und b ZPO nimmt das Gericht jederzeit Beweis ab, wenn das Gesetz einen entsprechenden Anspruch gewährt, der Gesuchsteller eine Gefährdung der Beweismittel glaubhaft macht oder wenn der Gesuchsteller ein schutzwürdiges Interesse glaubhaft macht.

Die vorsorgliche Beweisabnahme zur Abklärung der Prozessaussichten ist gerade im Werkvertragsrecht von grosser Bedeutung, ist es doch insbesondere fachunkundigen Bestellern oftmals nicht möglich, ihre Prozessaussichten verlässlich abzuschätzen. Während bis anhin – wie erwähnt – Privatgutachten eingeholt werden mussten, denen keine Beweiskraft zukam, liegt ein gerichtliches, Beweiskraft bildendes Gutachten vor, wenn eine Expertise im Verfahren gemäss Art. 158 ZPO eingeholt wird. Beizufügen bleibt, dass ein solches gerichtliches Gutachten nicht nur für eine Klage eine solide Grundlage darstellen kann, sondern auch für Vergleichsgespräche unter den Parteien. Ist der bezüglich eines behaupteten Mangels strittige Sachverhalt einmal geklärt, also insbesondere die Frage, ob ein Mangel vorliegt und welche Ursachen zum Mangel geführt haben, ist dies der ausserprozessualen Erledigung einer Streitsache in aller Regel sehr förderlich und dient damit der Verhinderung von zeit- und kostenintensiven Prozessen. Dies liegt letztlich im Interesse aller beteiligten Parteien.

Auf die vorsorgliche Beweisführung sind aufgrund der gesetzlichen Verweisung von Art. 158 Abs. 2 ZPO die Bestimmungen über die vorsorglichen Massnahmen (Art. 261 ff. ZPO) anwendbar, wobei aber nur der gesetzliche Anspruch respektive die Gefährdung der Beweismittel oder das schutzwürdige Interesse nachgewiesen werden muss, nicht aber, ob der Hauptanspruch begründet erscheint.7 Während das kantonale Recht die sachliche Zuständigkeit regelt, richtet sich die örtliche Zuständigkeit nach Art. 13 ZPO. Danach ist, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, zwingend das Gericht am Ort zuständig, an dem die Zuständigkeit für die Hauptsache gegeben ist oder die Massnahme vollstreckt bzw. die vorsorgliche Beweisführung durchgeführt werden soll.

Zeitpunkt der Erhebung einer Mängelrüge

Wenn der Besteller aufgrund der Prüfung des Werkes nach dessen Ablieferung Mängel erkennt, so hat er diese Mängel zu rügen, indem er sie dem Unternehmer anzeigt. Die Mängelrüge muss sofort, d.h. unverzüglich nach Feststellung der Mängel erhoben werden. Es darf mithin nicht auf das Ergebnis des Privatgutachtens oder der vorsorglichen Beweisführung zugewartet werden. Um nichts zu versäumen, empfiehlt es sich, auch im Falle des amtlich (vom Richter) ernannten Sachverständigen nach Art. 367 Abs. 2 OR eine sofortige Mängelrüge zu erheben.

Fazit

Die Regelung der gesamtschweizerischen ZPO hinsichtlich vorsorglicher Beweisführung verschafft dem Besteller eines Werkes die Möglichkeit, sich vor der Anhebung eines Prozesses Klarheit hinsichtlich des Vorhandenseins von Werkmängeln zu verschaffen. Die vorsorgliche Beweisführung ermöglicht eine realistische Einschätzung der Prozesschancen, dient der Verhinderung aussichtsloser Prozesse und fördert die aussergerichtliche Streiterledigung.

1 Vgl. dazu Gauch, Der Werkvertrag, 4. Auflage, Zürich 1996, N 1516 ff.
2 Vgl. Gauch, a.a.O., N 1517 f.; Oster/Schönenberger, N 7 zu Art. 367 OR mit weiteren Hinweisen.
3 BGE 96 II 270.
4 Vgl. für den Kanton Zürich § 24 lit. c GOG.
5 Vgl. Fellmann, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger, ZPO Komm., Art. 158 N 5 f.
6 Vgl. die Botschaft zur neuen ZPO, BBl. 2006 S. 7221 ff., S. 7315.
7 Vgl. Fellmann, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger, ZPO Komm., Art. 158 N 23.

Download

Sie können den ganzen Beitrag in PDF-Form herunterladen.

© 2024, Rohrer Müller Partner